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Lebensmittel: Farbfolie als Frischeampel

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Unscheinbar wie ein Glitzi-Scheuerschwamm: Diese Folie zeigt farblich den Frischegrad von Lebensmitteln an. (Foto: JGU, Mainz)

Die Frische der Lebensmittel soll diese intelligente Folie farblich anzeigen, welche Chemieprofessorin Katja Heinze aus Mainz voller Lust mit Luxemburger Forschern entwickelt und dafür einen mit 35.000 Euro dotierten Preis sicher genauso lustvoll eingestrichen hat. Leider legt die Kommunikationsabteilung der Johannes Gutenberg-Universität (JGU) der entsprechenden Mitteilung zu dieser Durchbruchsinnovation nur das langweilige Foto oben bei und zieht damit die sensationelle Neuheit rein optisch auf das Niveau eines Scheuerschwamms. Schade. Denn nach Ekelfleisch-Skandalen und mit Blick auf aktuelle Studien zur wachsenden Bedeutung von Nachhaltigkeit bei Verbrauchern könnte die neue Frischefolie am liebsten in grün, gelb und rot endlich für Klarheit vor der Ampel und damit für Sicherheit vor gammeligem Binde- und Muskelgewebe aus Tierkörpern sorgen.

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Die Skepsis insbesondere gegenüber Mästern, Schlachtern, Zerlegern und Verarbeitern von Schwein, Sau, Rind, Pute und anderem Fell- und Federtier fußt vor allem auf nachhaltig ge- bzw. zerstörtes Vertrauen in die Art und Weise der Wertschöpfung. Da mag uns auch nicht zu beruhigen, dass in diesem Monat die Tönnies Lebensmittel GmbH & Co. KG vollmundig ihren Einstieg in dem Pharmamarkt verkündete: Europas größter Schweinefleischvermarkter aus Rheda-Wiedenbrück gewinnt ab sofort im eigenen Werk „aus dem Darmschleim von Schweinen“ den Blutgerinnungshemmer Heparin, der zwar gegen Embolien, Thrombosen und Herzkrankheiten hilft, wohl aber nicht gegen Unwohlsein im Magentrakt. Schalke-Boss Tönnies hatte sich zuvor die Mehrheit am Heparin-Spezialisten namens „Pharma Action“ aus Berlin gesichert und im Vorfeld ein „neues Qualitätsversprechen an die Pharmaindustrie“ abgegeben, dessen Sinn beim ersten Lesen nicht recht einleuchten will: „Heparin – 100 % Made in Germany“. Ob dies trotz der Brutstätten an Sündern auch in diesem Land überhaupt noch ein Qualitätskriterium ist, nur weil’s woanders immer schlimmer geht?

Zumindest ein sichtbarer Streit zwischen Lebensmittelherstellern und -händlern auf der einen Seite und Verbraucherschutz-Organisationen auf der anderen Seite gilt als unüberbrückbar. Zu viel erkennbare Kennzeichnung scheint die eine Seite nicht zu wollen, damit Produkte nicht ins Aus statt ins Auge geraten. Zu schlechte Erkennbarkeit, der Konsumenten nur mit einer Lupe oder Brillen dick wie Glasbausteine beikommen können, kritisiert die Gegenseite. Absolut in Mode sind derzeit Studien zum Ansehen und Wert von nachhaltig produzierten Waren. Apropos Wert beziehungsweise Wertschätzung: Fast täglich trommeln Nachrichten neue Umfrage-Ergebnisse auch über Einstellungen von Lebensmittel-Shoppern. Eine Botschaft: Bio-Produkte haben lange gebraucht, bis sie sich durchsetzen konnten, nun seien nachhaltig produzierte Waren langsam im Kommen und erobern schrittweise die Regale. Leider noch mit einem der Tausend unterschiedlichen Umweltlabel wie „Fairtrade“ oder „Blauer Engel“ statt einem einheitlichen.

Natürlich nachhaltig?

„Nachhaltigkeit ist das neue Premium“, behauptete etwa die Agenturgruppe Serviceplan als Überschrift für ihre diesjährige Studie zum selbstgeschaffenen „Sustainability Image Score“ (SIS), an dem allerdings wundert, dass ausgerechnet Auto-Marken wie Audi und BMW und Babybrei-Brands wie Hipp, Milupa und Alete die Spitze des Rankings dominieren. Diffus indes liest sich das Bild, das Konsumenten tatsächlich laut Befragungen abgeben: Mal sind sie bereit, mehr Geld auszugeben, oft kaufen sie aber tatsächlich etwa bei Fleisch den letzten Schrott. Quasi der Not- statt Nachhaltigkeit folgend. Ein selbsternannter Spezialist auf dem Gebiet von Qualitätswurst- und -fleischwaren demonstriert unsereins in Diskussionsrunden die dösige Dauerhaltung von Einkäufern damit, dass – was hier wohl die Farbfolie anzeigt? – eine Geflügelfleischwurst bei Aldi in der 400-Gramm-Packung für 1,49 Euro abzüglich aller Produktions- und Logistikaufwendungen kaum noch Kosten für den Wert der Ware beinhalten könne. Seine strengen Zornesblicke ernteten Zuhörer, die Gegenargumente in die Waagschale zu werfen wagten wie „Wenn’s trotzdem schmeckt“ oder „Mehr kann ich nicht ausgeben“. Wobei wir wie bei Bildungsfernen bei den Möglichkeiten von Einkommensfernen wären, sich Qualität auch leisten zu können.

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Allerdings: Deutsche Verbraucher wünschen sich die Milchkuh auf der Weide. Dies hat die aktuelle Verbraucheranalyse von Agrarökonomen der Universität Göttingen nachgewiesen. Während Konsumenten die Kuhhaltung auf der Wiese durchweg mit positiven Attributen wie „natürlich“, „tierlieb“ und „gesund“ in Verbindung bringen, sehen sie die Stallhaltung weitaus kritischer. Vor allem die Gruppe der qualitätsbewussten Konsumenten sei sogar bereit, mehr für Produkte aus Weidehaltung zu bezahlen. Zwischen Bereitschaft und Kaufakt klafft offensichtlich eine Kluft.

Frische und Sicherheit

schwammDem mit einem Wissenschaftspreis gewürdigten Forschungsprojekt namens „Surfamine“ widmeten sich die Forscher aus der Pfalz und Luxemburg auch wegen des gestiegenen Interesses an der Kontrolle von Lebensmittelfrische und Lebensmittelsicherheit, erklärt Chemieprofessorin Heinze aus Mainz zum Hintergrund. Der wissenschaftliche Ansatz habe in der Entwicklung von Lebensmittelverpackungen bestanden, die Echtzeit-Informationen über den Status der verpackten Güter anzeigen. Die Verpackungsfolien sollen in Wechselwirkung mit der Atmosphäre innerhalb der Verpackung treten. Den aktuellen Stand zeige die Farbänderung an – etwa von grün nach rot.

Intelligente Verpackung kommuniziert

grüner-schwammDie Forscherteams haben im Projekt neuartige Pigmente entworfen, synthetisiert und charakterisiert. Diese Pigmente verleihen den Folien ihre Farbe und verändern diese Farbe durch die Wechselwirkung mit Aminen, die durch bakterielle Zersetzung frei werden. So kann angezeigt werden, wie frisch das Lebensmittel ist. Außerdem wurde ein neuer, umweltfreundlicher Prozess zur Beschichtung der Verpackungen entwickelt, mit dem sich auch große Oberflächen mit den intelligenten Überzug versehen lassen. Womöglich darf Surfamine selbst in die Familie der nachhaltigen Wertschöpfungsprozesse aufgenommen werden. Und eine Lanze für Luxemburg, sonst ziemlich als Zufluchtsort für hiesige Steuersünder verschrien, bricht die Beteiligung seiner Forscher nebenbei auch und erhält dafür hier die Auszeichnung „Glitzi plus“ verliehen: Gedankt sei allen Beteiligten aus Belvaux in der „Abteilung für Wissenschaft und Analyse von Materialen“ sowie in der „Abteilung für Umwelt- und Agrarwissenschaften“ des „Centre de Recherche Public – Gabriel Lippmann“ irgendwo in Luxemburg sowie die ebenfalls einen Teil dazu beitragenden Menschen im „Novelis Foil Innovation Center“ und in der „Plasma Research-Gruppe“ jeweils im weltbekannten belgischen Liège.

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